Gesellschaftsumbau braucht kompetent-engagierte Christen
Wie sieht unser Gesellschafts- und Wirtschaftssystem künftig aus und können Christen dazu etwas beitragen? Diese Frage stand im Zentrum eines prominent besetzten Symposions, zu dem Helmut Kukacka als Präsident der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände (AKV) und das Dr. Karl Kummer-Institut am Mittwoch in Wien geladen hatten. Anlass dafür ist das "Sozialwort der christlichen Kirchen", das vor rund 10 Jahren veröffentlicht wurde und derzeit diskutiert und evaluiert wird. Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), resümierte in seinem Hauptvortrag: Christen sind auch als Minderheit in der Gesellschaft gefragt und können vieles bewirken, wenn sie ihre Gesinnung mit Fachwissen, Engagement, Dialogfähigkeit und Kompromissbereitschaft verbinden.
"Einfach weiter so funktioniert nicht mehr", dieses Grundgefühl sei derzeit bei vielen vorherrschend und auch berechtigt, diagnostizierte nicht nur Glück sondern mit unterschiedlichen Nuancen auch die anderen Experten am Podium. Neben dem Leiter des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO), Prof. Karl Aiginger, brachten auch der Sozial- und Familienexperte Prof. Wolfgang Mazal, der frühere EU-Kommissar Franz Fischler sowie Christoph Neumayer von der Industriellenvereinigung (IV), Andreas Gjecaj von der Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG) und Magdalena Holztrattner als Leiterin der Katholischen Sozialakademie (KSÖ) ihre Expertise ein. Einig war man sich darin, dass dem Prinzip "Nachhaltigkeit" eine Schlüsselfunktion beim bereits in Gang befindlichen Umbau der Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung zukomme.
Wie sollen Christen auf massiven demografischen Veränderungen, die Durchdringung aller Lebensbereiche durch Globalisierung und Digitalisierung und das Aufbrechen der Finanz- und Wirtschaftskrise sowie großer gewaltsamer Konflikte reagieren? Diese Frage - ausgehend von einer Analyse der "Zeichen der Zeit" - stellte der ZdK-Präsident in das Zentrum seiner Überlegungen. Dabei machte er klar, dass es christliches Engagement "um des Menschen Willen" brauche. Von daher sollten Christen "leidenschaftliche Anwälte für die Würde der Menschen auf der ganzen Welt" sein.
Prinzip Nachhaltigkeit:
Dabei dürfe man "als Europäer aber niemals überheblich" auftreten, sondern müsste sich vielmehr auf die Gepflogenheiten anderer Kulturen einlassen. Die dabei geforderte Orientierung auf das Gemeinwohl müsse in seiner weltweiten Dimension gesehen werden, was einer Weltkirche auch anstehe. Eine Neubelebung der Kultur der Verantwortung und die richtige Balance zwischen Einheit und Vielfalt durch Beachtung des von der katholischen Soziallehre postulierten Subsidiaritätsprinzips seien unumgänglich. Dies bedeute auch Zukunftsverantwortung im Sinne von "Nachhaltigkeit", "denn unsere Art zu leben ist nicht zukunftsfähig", so Glück. Mit diesem Begriff, der in allen Kulturen vorhanden und auch messbar sei, sei die "Fähigkeit zur Selbstbeschränkung verbunden mit Innovation" gemeint. Es brauche eine von Christen getragene Bewegung gelebter Nachhaltigkeit, die - so wie alle Bewegungen - unten beginnt, aber viel verändern könne.
Für WIFO-Chef Aiginger ist das innerhalb der Europäischen Union etablierte Wirtschafts- und Sozialsystem eine "lohnende Baustelle". Viel zu wenig sei bisher zur Bekämpfung der Klimaerwärmung geschehen. Die Zeit dränge, denn irgendwann ist dieses Problem "irreversibel", so Aiginger, der die hohe Jugendarbeitslosigkeit, die neuen Flüchtlingsströme und die mangelnde Integration von Migranten als weitere Problemzonen ortete. Ziel sei eine EU als "dynamische, offene Gesellschaft mit sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit", damit dieses Modell auch für andere weltweit anziehend sein könne.
Plädoyer für öko-soziale Marktwirtschaft:
Für Franz Fischler bietet die Verwirklichung einer öko-soziale Marktwirtschaft, die seiner Meinung nach bereits im Vertragswerk der EU verankert ist, die Lösung gegenwärtiger Problem. Das setze freilich voraus, dass die Menschen wieder lernen müssten "ganzheitlicher zu denken". Viele seien zwar in ihrem Fachgebiet hervorragend ausgebildet, hätten es aber nicht gelernt, Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Gleichzeitig verwies Fischler auf aktuelle biomathematische Erkenntnisse, wonach nicht der "struggle of the fittest" sondern "Kooperation" ein System wirklich effizient mache. Kooperative Problemlösungen gepaart mit Subsidiarität und klarer Leitungsverantwortung seien innerhalb der EU und der Mitgliedstaaten mehr denn je nötig.
Unterstützung für eine öko-soziale Marktwirtschaft machte auch der Christgewerkschafter Gjecaj deutlich, der von einem "Leben in einer Zeitenwende sprach". Von daher sollte Menschen heute nicht in den bisherigen Lebensstil sozialisiert werden. Vielmehr brauche es "Kontrasozialisation", um in neuen Formen zu leben.
Nötige Veränderungen in Richtung Nachhaltigkeit können nur geschehen, "wenn wir uns nicht mehr in den Sack lügen". Das betonte Prof. Mazal und kritisierte die immensen Staatsschulden und die "Verteidigung wohlerworbener Rechte" mit Blick auf die notwendige Reform des Pensionssystems. Der Umstand, dass 70 Prozent der jetzt Geborenen mindestens einen Elternteil haben, der nicht in Österreich geboren wurde, zeige schon jetzt, was noch hinsichtlich Integration und Schaffen einer gemeinsamen Wertebasis getan werden müsse.
Gegen einen weit verbreiteten Kulturpessimismus und für mehr Optimismus bei der Gestaltung des Wandels plädierte IV-Generalsekretär Neumayer. Ähnlich auch KSÖ-Leiterin Holztrattner: "Den Luxus der Hoffnungslosigkeit können wir - die Armen - uns nicht leisten", zitierte sie Stimmen aus Südamerika. Die Zielvision sei "gutes Leben für alle Menschen", die auch beim gegenwärtigen Prozess "Sozialwort 10+" vorherrschend sei.
Soziallehre der Kirche verstehbar machen:
Bischof Alois Schwarz unterstrich bei seinem Statement die Aufgabe der Laien bei der Weiterentwicklung der kirchlichen Soziallehre. Es gelte, diese dem säkularisierten Bürger verstehbar zu machen. Der für die kirchlichen Laienorganisationen zuständige Bischof erinnerte dabei an Eckpunkte der Soziallehre: Neben den Grundprinzipien wie Solidarität , Subsidiarität und Personalität habe Benedikt XVI. in der Enzyklika "Caritas in veritate" die "Liebe als den Hauptweg der Soziallehre der Kirche" und von der "Logik des Geschenks" und vom "Prinzip der Unentgeltlichkeit" gesprochen.
Wie sehr das Engagement von Laien in diesen Themen gefordert sei, mache Papst Franziskus deutlich, wenn er vor einer "Globalisierung der Gleichgültigkeit" und einer "Vergötterung des Geldes" warne. Der Papst habe in seinem Schreiben "Evangelii gaudium" keine systematische Abhandlung sozialer Fragen, sondern vielmehr eine "prophetische Sozialkritik" geübt. Dabei habe Franziskus gleichzeitig auf die bleibend gültigen Aussagen im "Kompendium der Soziallehre der Kirche" verwiesen. Für Österreich gesprochen gelte es, die Zeitgemäßheit des vor 10 Jahren vorgelegten Sozialworts der Kirchen zu sichern und zu einem "neuen Lebensprogramm für Wirtschaft und Gesellschaft" weiterzuentwickeln.
(Informationen: www.sozialwortzehnplus.org)