Theologe: Keine theologische Rechtfertigung für Angriff Russlands
Doch woher hat Patriarch Kyrill dann seine Ideen? Moga verwies auf den russischen Religionsphilosophen Wladimir Solowjew (1853-1900) und dessen Überlegungen zu einem gerechten Krieg. Auch in der Sozialdoktrin der Russisch-orthodoxen Kirche aus dem Jahr 2000 gebe es im friedensethischen Kapitel Ambivalenzen, die aus heutiger Sicht problematisch klingen. Das Dokument sei schon zur Zeit seiner Entstehung von Verantwortlichen der orthodoxen Kirchen und orthodoxen Theologen kontrovers diskutiert worden, berichtete Moga. Jedenfalls sei es gesamt-orthodox nicht konsensfähig. Ein Detail am Rande: Patriarch Kyrill war damals noch als Metropolit maßgeblich für die Inhalte der Sozialdoktrin mitverantwortlich.
Prof. Moga warnte zudem davor, die Kirche nicht mit den Kirchenleitungen gleichzusetzen. So gebe es auch in der russischen Kirche sicher viele Geistliche und Gläubige, die den Krieg zutiefst ablehnen. Als zentral für den orthodoxen friedensethischen Ansatz betonte Moga die wichtige Rolle eines passiven Widerstands durch Spiritualität: in der kommunistischen Zeit seien gerade Mystiker (die etwa in der Praxis des Jesus-Gebetes Zuflucht suchten) als Gefahr von den totalitären Regimen wahrgenommen und oft inhaftiert und verfolgt worden.
Moga verwies zudem auf die von inzwischen rund 1.500 orthodoxen Theologinnen und Theologen unterzeichnete internationale Erklärung zur Lehre von der "Russischen Welt" (Russkij Mir), in der schärfste Kritik am Moskauer Patriarchat und dessen Unterstützung für Wladimir Putins Krieg in der Ukraine geübt wird. In der Erklärung heißt es wörtlich: "Wir lehnen die Irrlehre von der Russischen Welt und die schändlichen Handlungen der russischen Regierung, die mit Duldung der russischen-orthodoxen Kirche einen Krieg gegen die Ukraine entfesselt hat, der sich aus dieser abscheulichen und unhaltbaren Lehre ergibt, als zutiefst unorthodox, unchristlich und gegen die Menschheit gerichtet ab." Prof. Moga gehört zu den Unterzeichnern aus Österreich.
Der Wiener rumänisch-orthodoxe Theologe zitierte in seinem Vortrag zudem aus einer Reihe weiterer orthodoxer Dokumente, in denen der Krieg grundsätzlich verurteilt wird; so etwa in einer Botschaft der orthodoxen Kirchenoberhäupter in Betlehem (2000), aus dem Sozialwort des Ökumenischen Patriarchats von Konstantinopel aus dem Jahr 2020 oder dem Dokument "Die Sendung der Orthodoxen Kirche in der heutigen Welt", das bei der Panorthodoxen Synode auf Kreta 2016 verabschiedet wurde. In letzterem Dokument heißt es wörtlich: "Verurteilt werden auch Kriege, die aus Nationalismus entfacht werden und zu ethnischen Säuberungen, zur Änderung von Staatsgrenzen und zur Besetzung von Territorien führen." - Genau das sei jetzt der Fall, so Moga.
Ruf nach panorthodoxer Synodalität
In der gegenwärtigen Situation sei es für die Orthodoxie allerdings ein großes Handicap, dass es keine tragfähigen gesamtorthodoxen Strukturen gibt, räumte Moga ein. Dies mindere die Schlagkraft jener, die sich gegen den Krieg aussprechen und die Position Kyrills verurteilen. "Die Orthodoxie braucht eine stärkere panorthodoxe Synodalität", mahnte Moga ein. Es gelte, "gemeinsam sozialethische Verantwortung zu übernehmen", so der Theologe. Noch sei es nicht so weit, doch Moga zeigte sich für die Zukunft zuversichtlich. Zu mehr panorthodoxer Synodalität gebe es keine Alternative. Eine erneuerte orthodoxe Friedensethik werde dabei sicherlich von den Erfahrungen des Ukrainekriegs lernen.
Im Blick auf die beiden orthodoxen Kirchen in der Ukraine - die vom Ökumenischen Patriarchat und einigen anderen orthodoxen Kirchen als autokephal anerkannte Orthodoxe Kirche der Ukraine und die Ukrainisch Orthodoxe Kirche, die sich vor einigen Monaten von Moskau losgesagt hat, deren Status aber unklar ist - bedauerte Moga, dass es noch nicht zu einer Versöhnung gekommen sei. Er sei aber zuversichtlich, dass es in Zukunft dazu kommen werde. Schließlich unterstrich der orthodoxe Theologe auch die Bedeutung des Gebets für den Frieden.
Diesen Gedanken griff auch Pro Oriente-Präsident Alfons Kloss auf: "Wir brauchen das Gebet im ökumenischen Rahmen", so sein Appell. Eingangs hatte er sich in seinem Grußwort vom Friedenspotenzial der Orthodoxie überzeugt gezeigt und zugleich die Position von Patriarch Kyrill als absolut unerklärlich und verstörend verurteilt.
AKV-Präsident Matthias Tschirf wies in seinem Grußwort darauf hin, dass sich die AKV schon im letzten Jahr vorgenommen habe, im Jahr 2022 dem Thema Religionen und Frieden einen inhaltlichen Schwerpunkt zu widmen. Die Entscheidung sei schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine gefallen. Leider zeigten die aktuellen Ereignisse, wie richtig diese Entscheidung der AKV gewesen sei.
Im Publikum saß u.a. auch der Wiener serbisch-orthodoxe Bischof Andrej (Cilerdzic), der gleich zu Beginn des Einmarsches Russlands in der Ukraine den russischen Angriff auf das Schärfste verurteilt hatte. Im Anschluss an den Vortrag Prof. Mogas lud die AKV zum Rosenkranzfest in den Stephansdom. Dem Gottesdienst stand Dompropst Ernst Pucher vor.
(Kathpress, 10.10.2022 (KAP))